Freitag, 28. November 2008

Sprach(er)kenntnisse - Die sprechen hier anders.

Wer hätte es gedacht. :) Der aufmerksame Leser erinnert sich vielleicht, dass ich schon ganz zu Anfang diese clevere Erkenntnis hatte. Ich möchte das noch kurz ergänzen. Ich hatte es ja so interpretiert, dass es irgend etwas mit Höflichkeit zu tun haben könnte, dass deutsche Sätze viel komplizierter sind als amerikanische. Das kann man so einfach aber nicht sagen. In der Tat sind die Amerikaner nämlich – scheinbar – die Höflicheren. Die wichtigsten Vokabeln sind „great“ und „awesome“. Gerade im geschäftlichen Umfeld sind Amerikaner immer sehr darauf bedacht, Anerkennung zu zeigen. Und zwar immer und für alles: Vor zwei Wochen habe ich den neuen Computer bekommen, auf dem endlich mein Emailprogramm funktioniert. Ich habe daraufhin einen Ein-Zeiler an meine sieben Teamkollegen geschickt, um ihnen das mitzuteilen (und meine private Mailbox vor dem Kollaps zu bewahren) – und von jedem einzelnen eine Antwort-Mail mit mindestens einem „Great!“ erhalten.
Man sagt hier auch nie, wenn irgendwas völlig am Ziel vorbei gegangen ist. Im Gegenteil. Ich saß in einem Meeting, in dem die Agentur ein Konzept für eine Onlinekampagne vorgestellt hat. Die Agentur war nur per Telefonkonferenz zugeschaltet. Ich konnte also sehen, wie die Kollegen tatsächlich reagiert haben (man kann das Telefon ja stumm schalten) und es war eindeutig, dass das nicht ihren Vorstellungen entsprach. In Deutschland gäbe es da kurzen Prozess: Noch mal machen. Hier wird erst mal zum Ausdruck gebracht, wie „great“ und „awesome“ die Idee und das Design ist, bis man irgendwann mal in einem Nebensatz andeutet, dass es das Thema nicht so ganz 100%ig trifft. Aber ganz knapp, wirklich - und das Design ist ehrlich ganz toll.
Ich habe neulich auch einen Kollegen falsch verstanden als ich für ihn eine Liste mit Videomaterial erstellen sollte. Da hieß es dann erst mal „Thanks for the great start, Sarah“, bevor er sagte, dass er sie aber gern noch nach Modell geordnet hätte.
Mein absoluter Liebling unter den Annerkennung zollenden Phrasen ist ja „that makes sense“ und besonders die Steigerung „that makes a lot of sense“. Nachdem ich mich tagelang gefragt habe, ob irgend etwas mehr Sinn machen kann, als etwas, das schon Sinn macht (ja, so verbringe ich meine Freizeit;), bin ich zu folgendem Ergebnis gelangt: Diese Phrase bewertet etwas gar nicht als mehr oder weniger sinnvoll, sondern heißt einfach nur: „Ja, ich höre noch zu“.

Um ehrlich zu sein schätze ich die deutsche Direktheit in diesem Zusammenhang. Ständig für Jobs gelobt zu werden, die maximal voraussetzen, Lesen und Schreiben zu können, ist nicht besonders motivierend. Aber wir (Praktikanten) nehmen’s mit Humor und tauschen uns abends darüber aus, wer für den anspruchslosesten Jobs die meisten „great“s geerntet hat.

Eine weitere Erkenntnis zum Thema Sprache betrifft meine Sprachkenntnisse. Ein guter Freund aus Ulm (Patrick) hatte mir das schon im Vorfeld prophezeiht und ich bin beeindruckt, wie recht er hatte: Ich war in den letzten Wochen ziemlich frustriert, was die Entwicklung meines Englisch anging. Ich habe nämlich keine festgestellt – vielmehr hatte ich das Gefühl, es wäre eher schlechter geworden. Ich verstehe eigentlich alles, aber manchmal verhasple ich mich mit der Aussprache, mir fallen die einfachsten Wörter nicht ein, ich spreche langsam und ich höre meine eigenen Fehler, während ich sie mache. Das nervt am meisten – zu wissen, dass es falsch ist und es trotzdem nicht richtig machen…
Inzwischen fühle ich mich wieder etwas sicherer. Ich versuche auch aus jedem Gespräch möglichst viel mitzunehmen, schreibe mir in Meetings Vokabeln und Phrasen auf – die ich nicht oder nur passiv weiß, d.h. die ich verstehe, aber nicht aktiv nutze. Und das macht dann doch auch wieder Spaß.

Change has come.

(Nachtrag.)
Die Präsidentschaftswahl war ein unvergessliches Erlebnis. Es fing schon damit an, wie Amerika der Wahl entgegen gefiebert hat. Man ist hier ja viel enthusiastischer als in Deutschland. Die Auswahl der Wahlpartys in New York war riesig, zumindest für Obama-Anhänger und Sympathisanten. Es gab mindestens so viele Wahlpartys wie es Bars gibt und das sind eine Menge.

Der Times Square und das Rockefeller Center waren die Hauptanlaufpunkte für das etwas größere Public-Viewing. Der Tower am Rockefeller Center war rot und blau beleuchtet und auf jeder Hälfte war ein "Lift" installiert, der immer dann hoch fuhr, wenn einer der beiden Präsidentschaftskandidaten einen weiteren Bundesstaat für sich entschieden hatte.
Ich habe die Bekanntgabe der Wahlergebnisse allerdings auf dem Times Square verfolgt, wo noch mehr Menschen zusammen gekommen waren.

McCain wurde für jeden Sieg ausgebuht, Siege von Obama wurden lautstark bejubelt. Gegen 23 Uhr (Ortszeit) gab CNN Obama als neu gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika bekannt. Die größte öffentliche Wahlparty fand glaube ich in Chicago statt, aber schon die Stimmung und der Jubel am Times Square in diesem Moment waren unbeschreiblich beeindruckend.

Eisskulptur, Harlem

Noch intensiver war das Erlebnis als ich auf dem Weg nach Hause in Harlem aus der U-Bahn kam. Dort waren alle auf der Straße, haben gesungen und getanzt.
Am Sonntag nach der Wahl war ich beim Gottesdienst in einer Gospel-Kirche in Harlem. Ich habe noch nie so etwas erlebt. Natürlich kennt man solche Gottesdienste als weitaus lockerer und fröhlicher als deutsche - aber das ging noch viel weiter. Als ich nach zwei Stunden gehen musste, weil sich meine Kopfschmerzen vom vorangegangenen Partyabend nicht mit der Lautstärke vertragen wollten, war längst kein Ende absehbar. Der Pastor hatte ein Obama T-Shirt an und seine Predigt war einerseits sehr ergreifend, anderseits so ironisch, dass man oft lachen musste.

Es ist toll, dass ich dieses historische Ereignis hier miterleben durfte. Viele Menschen haben geweint - egal welche Hautfarbe sie hatten. Manche waren völlig sprach- und regungslos, andere haben vor Freude geschrien.
Ich bin mit einem Lächeln durch Harlem gelaufen, weil ich diese herzliche Stimmung genossen habe. Ein schwarzes Mädchen zeigte auf mich und sagte zu seiner Freundin: "Look at her, she's smiling!!! :)))"

Neulich auf dem Weg zur Arbeit saß uns in der U-Bahn eine schwarze Frau mit ihrer Tochter gegenüber. Die Frau las "am", ein Klatschblatt, das jeden Morgen umsonst an allen U-Bahn-Eingängen verteilt wird. Das Mädchen drehte sich zu seiner Mutter, guckte neugierig in die Zeitung und fragte: "Is Obama in there???" Als die Mutter sagte "no", drehte sich die Kleine enttäuscht weg.

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